Bauletter, BAULINKS.de-Meldungen, vom 22.08.2022

Volatile Zeiten für die deutsche Möbelindustrie

Jan Kurth, Geschäftsführer der Verbände der deutschen Möbelindustrie (VDM/VHK), nahm am 19. August 2022 Stellung zur wirtschaftlichen Situation der Branche: Demnach bleiben die Zeiten auch für die deutsche Möbelindustrie unsicher und außergewöhnlich herausfordernd. Die Achterbahnfahrt für die Branche gehe weiter: Seit Beginn der Pandemie verzeichnen die Hersteller eine höchst volatile Geschäftsentwicklung:
  • Dem Corona-Schock im Frühjahr 2020 folgte eine überraschend schnelle Erholung.
  • Dieser Aufschwung wurde allerdings durch den drastischen Materialmangel im Verlauf des Jahres 2021 ausgebremst.
  • Die Verteuerung nahezu aller Vorprodukte wurde zur großen Belastung für die Branche; insbesondere auch deshalb, weil die drastischen Kostensteigerungen entweder nicht vollständig oder aber nur zeitversetzt weitergegeben werden konnten bzw. können.
  • Durch den Ausbruch des Ukraine-Kriegs verschärften sich die Störungen in den Lieferketten weiter.
  • Aktuell scheint sich die Materialverfügbarkeit in vielen Bereichen zwar wieder etwas stabilisiert zu haben, wie verbandsinterne Umfragen zeigen.
Die Lieferzeiten haben sich zuletzt wieder etwas verkürzt. Die Versorgungslage - etwa im Bereich Massivholz - bleibe allerdings weiter angespannt, die Lieferketten seien nach wie vor fragil. Und: Der Preisanstieg bei Vorprodukten und Energie setze sich fort. So lägen beispielsweise die Erzeugerpreise für Holzwerkstoffe, als eine der Hauptkomponenten für Küchen- und Kastenmöbel, nach amtlicher Statistik im Juni 2022 um 46,4% über dem Vorjahresmonat. Und auch für das zweite Halbjahr 2022 seien bereits weitere Steigerungen umgesetzt bzw. angekündigt worden.

Dazu komme eine ganze Reihe weiterer Herausforderungen - darunter das schwache Konsumklima, die Sommerzeit mit Hitze und allgemeiner Reiselust, die Inflation und die steigenden Energiepreise -, die im Ausblick näher beleuchtet werden. Eine wilde Mischung unterschiedlicher Einflussfaktoren, die täglich in der öffentlichen Debatte für weitere Verunsicherung sorgen. „Entspannung sieht anders aus, und für die Unternehmen bleibt die Weitergabe dieser Belastungen in der Kette existenziell,“ stellte Herr Kurth fest.

Die Möbelindustrie glaubt gleichwohl fest an die hohe Bedeutung seiner Produkte für die Verbraucher. Die Nachfrageabschwächung im Juni und Juli ist laut Verbandseinschätzung auch dem großen Nachholbedürfnis in Sachen Urlaub geschuldet. Im Herbst werde der Fokus auf das eigene Zuhause wieder stärker werden - dann rechnet der Verband erneut mit positiven Impulsen für die Branche.

13,4%  mehr Umsatz im ersten Halbjahr 2022

Im ersten Halbjahr 2022 konnten die deutschen Möbelhersteller ihren Umsatz um 13,4% auf rund 9,5 Mrd. Euro steigern. Das Umsatzwachstum spiegelt dabei vor allem die gestiegenen Materialkosten wider. Das mengenmäßige Wachstum fiel deutlich geringer aus als das Umsatzwachstum. Im Monat Juni zeigte sich unterdessen mit einem Umsatzplus von 4,3% eine abgeschwächte Dynamik.

Im ersten Halbjahr 2022 entwickelte sich der Inlandsumsatz vor dem Hintergrund der guten Nachfrage im Winter und angesichts der hohen Auftragsbestände Ende 2021 mit plus 13,8% positiv. Auch der Auslandsumsatz konnte in der ersten Jahreshälfte 2022 mit plus 12,6% zulegen, allerdings war das Wachstum etwas niedriger als im Inland. Während sich die Auslandsumsätze bis Ende Februar noch deutlich dynamischer entwickelten als die Inlandsumsätze, drehte sich der Trend im März angesichts der negativen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der stark gestiegenen Transport- und Logistikkosten wieder um.

Bei der Bewertung der aktuellen Ergebnisse muss auch auf die Vorjahreswerte verwiesen werden - die Umsätze der deutschen Möbelhersteller legten im ersten Halbjahr 2021 um insgesamt 4,1 Prozent zu. Der Inlandsumsatz stieg damals um 1,1 Prozent und der Auslandsumsatz um 10,7 Prozent. Die aktuellen Umsätze deutscher Möbelhersteller bewegen sich sowohl im Inland als auch im Ausland deutlich über dem Niveau des Jahres 2019 und somit über den Vergleichswerten vor der Corona-Krise.

unterschiedliche Endwicklungen in den Segmenten

Im Hinblick auf die Umsatzentwicklung in der ersten Jahreshälfte 2022 gibt es erhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Segmenten der deutschen Möbelindustrie. Nach Angaben der amtlichen Statistik verzeichnete die Küchenmöbelindustrie einen kräftigen Umsatzanstieg um 12,4% auf rund 3,2 Mrd. Euro, sie erwies sich damit erneut als wichtiger Wachstumsmotor der Branche. Den höchsten Umsatzanstieg registrierten die Hersteller von Polstermöbeln, deren Umsätze von Januar bis Juni 2022 um 19,1% auf 577 Mio. Euro zulegen konnten. Auch die Umsatzentwicklung beim größten Segment der Möbelindustrie - den sonstigen Möbeln (darunter Wohn-, Ess- und Schlafzimmermöbel) sowie Möbelteilen - fiel mit plus 17,1% auf 3,3 Mrd. Euro positiver aus als im Branchendurchschnitt. Das kleinste Segment der Branche - die Matratzenindustrie - vermeldete dagegen ein leichtes Umsatzminus in Höhe von 7,1% auf 336 Mio. Euro.

Wie bereits im Vorjahr weisen die konsumgüternahen Segmente der Möbelindustrie einen leicht besseren Konjunkturverlauf auf als die Investitionsgütersegmente. Die Büromöbelindustrie registrierte mit einem Umsatz von rund 1,06 Mrd. Euro ein Wachstum von 10,9%. Die Hersteller von Laden- und sonstigen Objektmöbelnlagen um 13% über dem Vorjahreswert und erzielten einen Umsatz von 968 Mio. Euro.

China wichtigstes Möbelherkunftsland

Die deutschen Möbelimporte legten im ersten Halbjahr 2022 kräftig um 13,5% auf 5,8 Mrd. Euro zu. Die Dynamik in den einzelnen Ländern zeigte sich jedoch sehr uneinheitlich: Mit einem Zuwachs von 24,1% auf knapp 1,9 Mrd. Euro stiegen die Einfuhren aus China überdurchschnittlich stark. Allerdings lag das Wachstum des Importwerts überwiegend an der deutlichen Verteuerung von Möbeln aus chinesischer Produktion - die Importmenge ging im gleichen Zeitraum um 8,6% zurück. In Bezug auf den Importwert baut China seine Position als wichtigstes Möbelherkunftsland vor Polen (+10,6%) weiter aus. Der Anteil Polens an den Gesamtimporten ging auf 26,2% zurück. Die Importe aus dem drittplatzierten Italien reduzierten sich leicht um 0,5%. Die Einfuhren aus Vietnam (+31,9%), der Türkei (+80,4%) und Litauen (+19,2%) stiegen deutlich, während die Einfuhren aus der Ukraine (-18,8%) und Belarus (-25,2%) vor allem aufgrund des andauernden Krieges rückläufig waren.

fast 80.000 Beschäftigte

Hier noch ein Blick auf die Beschäftigtendaten der Branche: In den aktuell 451 Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten (-1,5% bis Juni) arbeiten 78.712 Beschäftigte, damit liegt die Branche geringfügig um 0,2% unter dem Niveau des Vorjahres. Trotz der negativen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs konnte somit die Beschäftigung in der Branche bislang konstant gehalten werden.

Prognose 2022

Bei der aktuellen Auftragslage liegen Licht und Schatten dicht beieinander. Nach internen Erhebungen der Fachverbände stieg zwar der Auftragseingang in der deutschen Küchenmöbelindustrie in den ersten sieben Monaten 2022 um 15,5%, in der Wohnmöbelindustrie um 12,1% und in der Polstermöbelindustrie sogar um 25,3%. Damit wurde ein Auftragspolster geschaffen, welches weit ins zweite Halbjahr reichen dürfte. Die Unterschiede zwischen dem Auftragseingang und Umsatz sind vor allem auf das zeitliche Auseinanderfallen zurückzuführen. Ein weiterer Grund ist die Einbeziehung der ausländischen Produktionsstätten deutscher Hersteller sowie der deutschen Vertriebsgesellschaften ausländischer Hersteller, die von der amtlichen Statistik nicht erfasst werden.

Sorgen bereitet den Möbelherstellern jedoch die Nachfrageentwicklung in den Monaten Juni und Juli, von der Einschätzung nach vor allem das untere Preissegment - sowohl im stationären Handel wie auch im Onlinehandel - betroffen ist. Der Auftragseingang brach im Juli deutlich ein: Die entsprechenden Werte lagen in der Küchenmöbelindustrie um 6,7% im Minus, in der Wohnmöbelindustrie gingen sie um fast 35% und in der Polstermöbelindustrie sogar um 38,3% zurück. Bei diesem Rückgang des Auftragseingangs spiele auch die Reiselust nach eine Rolle. Nach den pandemiebedingten Einschränkungen in den beiden Vorjahren steht das Thema Urlaub in diesem Sommer auf der Prioritätenliste vieler Verbraucher ganz oben.

Es zeichnet sich ab, dass das zweite Halbjahr für die Möbelbranche schwieriger werden wird als die ersten sechs Monate:
  • Die höheren Preise für Lebensmittel und Energie,
  • die drohende Gasknappheit sowie
  • die Unsicherheiten über den weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs und
  • die Entwicklung der Pandemie
... drücken auf die Stimmung der Bevölkerung. Die täglich neuen Meldungen über drohende Belastungen und Unsicherheiten über staatlich gewährte Entlastungen trüben die Verbraucherstimmung weiter ein. Wenig erfreulich sind auch die Meldungen aus dem Wohnungsbau. Die höheren Bauzinsen erschweren für Bauherren die Finanzierung ihres Hausbaus deutlich, zudem sinken die Baugenehmigungszahlen.

Als größte Herausforderungen benennen die Hersteller in einer aktuellen Verbandsumfrage den Anstieg der Materialkosten und die Lieferfähigkeit der Vorlieferanten. Als besonders problematisch bei der Beschaffung erweisen sich den befragten Unternehmen zufolge derzeit die Regionen Asien und Osteuropa, was auf die Folgen der Corona-Lockdowns in China und des Ukraine-Krieges zurückzuführen ist. Vor dem Hintergrund der Lieferkettenproblematik streben knapp 60% der befragten Firmen eine stärkere Diversifizierung ihrer Beschaffung an. Dabei soll insbesondere der Einkauf auf dem Heimatmarkt und innerhalb der Europäischen Union ausgedehnt werden.

Als herausfordernd werden laut der Umfrage zudem die Energieversorgung und die steigenden Energiekosten eingeschätzt. Sollte es zu einer Gasknappheit kommen, könnte die deutsche Möbelindustrie im Hinblick auf Vorprodukte betroffen sein, für deren Herstellung gasintensive Erzeugnisse aus der Chemieindustrie benötigt werden. Beim Thema Heizen wiederum ist die Branche wenig tangiert, da die Heizenergie bei den Herstellern in der Regel durch das Verbrennen von Holzabfällen aus der eigenen Produktion erzeugt wird. Dazu kommen die „Dauer-Baustellen“ Fachkräftemangel und knappe Logistikkapazitäten infolge des Fahrermangels.

Auch bei unbestritten schwierigen Rahmenbedingungen ist die Branche zuversichtlich, dass die Themen Wohnen und Einrichten bei den Verbrauchern weiter im Fokus bleiben. Das eigene Zuhause bleibt ein sicherer Rückzugsort in unsicheren Zeiten und nach dem heißen Urlaubssommer kommt mit dem Herbst der erneute Rückzug in die eigenen vier Wände. Vor diesem Hintergrund erwarten die Branche im Gesamtjahr 2022 für die deutsche Möbelindustrie eine leicht rückläufige Mengenentwicklung und einen Umsatzanstieg von 6 bis 8 Prozent aufgrund von Preiseffekten. Im Februar - noch vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs - wurde ein Umsatzzuwachs von rund 10% vorhergesagt.

„Weitere Wachstumspotenziale bieten sich unserer Industrie besonders im Auslandsgeschäft. Eine wichtige Plattform für die Exportaktivitäten stellt die imm cologne dar. Das Aushängeschild unserer Branche ist für Geschäftsabschlüsse, das Knüpfen neuer Geschäftsbeziehungen und als Kommunikationsanker unverzichtbar. Wir freuen uns schon auf den Re-Start im kommenden Jahr,“ schloss Jan Kurth, Geschäftsführer der Verbände der deutschen Möbelindustrie (VDM/VHK), seine Ausführungen ab.

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