Bauletter, BAULINKS.de-Meldungen, vom 07.09.2022 |
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„Sozialwohnungsbau vor dem Kollaps“Der Staat muss beim sozialen Wohnungsbau dringend in den Krisenmodus schalten. Andernfalls wird der Neubau von Sozialwohnungen im kommenden Jahr einen radikalen Absturz erleben - davor warnt aktuell das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ vor dem Hintergrund der derzeitigen Haushaltsdebatten im Bundestag. Deutschland brauche deshalb einen „Sozialen Akutplan Wohnen“. Bund und Länder müssten dabei bereits für 2023 eine Förderung von mindestens 12,5 Mrd. Euro bereitstellen. Anders sei das von der Bundesregierung politisch gesteckte Ziel von 100.000 neu gebauten Sozialwohnungen pro Jahr nicht zu erreichen. Um Sozialwohnungen möglichst energieeffizient (KfW-Effizienzhaus 40) zu bauen, seien sogar 15,2 Mrd. Euro pro Jahr an staatlicher Förderung erforderlich. Es führe kein Weg daran vorbei, dass Bund und Länder für die Schaffung neuer Sozialwohnungen ab sofort deutlich tiefer in die Tasche greifen müssten als bislang.Die Bündnispartner – darunter der Deutsche Mieterbund (DMB), die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) – ziehen mit dieser Forderung die Konsequenz aus einer aktuellen Sonderuntersuchung zum sozialen Wohnungsbau, die das Pestel-Institut im Auftrag des Bündnisses gemacht hat - siehe auch Beitrag „Sozial-Bündnis fordert ,Sonderfonds Wohnen‘“ vom 17.1.2022 (noch mit Zahlen, welche die aktuelle Inflation nicht kannten). Die deutlich höhere staatliche Subvention - mit einer Fördersumme von mindestens 125.000 Euro je Sozialwohnung - sei notwendig, um vor allem Preissteigerungen sowie anziehende Bauzinsen aufzufangen. Ebenso, um einer weiteren Verunsicherung des Marktes entgegenzutreten. Es komme darauf an, jetzt den von der „Bau-Lethargie“ besonders betroffenen sozialen Wohnungsbau neu zu beleben. Notwendig seien dabei auch Sonderprogramme zur Dachaufstockung und zum Umbau von Gewerbeeinheiten zu Sozialwohnungen. Zudem soll es künftig Härtefall-Kommissionen bei der Vergabe von Sozialwohnungen geben. Durch ein 10-Prozent-Kontingent sollen sich die Chancen benachteiligter Menschen verbessern, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen.Dabei macht das Bündnis „Soziales Wohnen“ Druck: Bundestag und Bundesregierung müssten bereits in der gestern begonnen Haushaltsdebatte zum Etat von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) für das Jahr 2023 ein deutliches Zeichen setzen, fordert das Bündnis. Der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther, plädiert dafür, die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen und ihren Förderanteil beim sozialen Wohnungsbau zu erhöhen. Denn: „Bleibt es bei einem Länderanteil von lediglich 23 Prozent bei der Förderung, dann muss allein der Bund für seinen Haushalt 2023 – je nach Energiesparvariante – zwischen 9,6 und 11,7 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen. Vorausgesetzt, er hält an seiner selbst gesetzten Zielmarke von 100.000 neu gebauten Sozialwohnungen pro Jahr fest“, rechnet der Institutsleiter vor. In seiner Sonderuntersuchung zum sozialen Wohnungsbau warnt das Pestel-Institut aktuell vor einer „Nulllinie beim sozialen Wohnungsbau“: „Selbst kommunale, genossenschaftliche und kirchliche Wohnungsunternehmen haben den größten Teil ihrer Bauvorhaben gestoppt: Fast alles, was noch in der Planung war, haben sie auf Eis gelegt. Damit leistet das ‚soziale Bau-Gewissen‘, das wir in Deutschland haben, quasi gerade einen Offenbarungseid“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Allein im vergangenen Jahr sei rein rechnerisch alle 19 Minuten eine Sozialwohnung vom Markt verschwunden: „Ihre Zahl sank um nahezu 27.400 auf nur noch 1.101.500 Sozialwohnungen bundesweit“, so Herr Günther. Die Jahres-Zielmarke von 100.000 neu gebauten Sozialwohnungen, die sich die Bundesregierung zu Beginn der Wahlperiode - also Ende letzten Jahres und damit vor der Krise - selbst gesteckt habe, drohe zur „absoluten Ampel-Illusion“ zu werden. „Um jetzt zu retten, was noch zu retten ist, muss der Bund alle Reserven mobilisieren“, mahnt der Wissenschaftler. Der soziale Wohnungsbau müsse in die Lage versetzt werden, die Kapazitäten aufzufangen, die der Wohnungsbau insgesamt nach und nach freisetze. „Sozialer Akutplan Wohnen“ gefordertSteigende Preise bei Baustoffen und Bauland, anziehende Bauzinsen, drohende Lieferengpässe bei Baumaterial, dazu die generelle Ungewissheit einer Krise: Immer mehr private Bauherren, Wohnungsgesellschaften, Investoren und Projektentwickler ließen angefangene Baupläne wieder in den Schubladen verschwinden. „Das Bauklima ist so mies wie seit Jahren nicht mehr. Die Gefahr ist jetzt, dass der Bau Kapazitäten abbaut und dabei vor allem Fachkräfte verliert. Das wäre fatal. Denn wer einmal dem Bau den Rücken kehrt, kommt so schnell nicht wieder zurück. Der Bau läuft Gefahr, in die ‚Gastronomie-Falle‘ der letzten Corona-Lockdowns zu tapsen“, sagt Herr Günther. Schon deshalb sei ein „Sozialer Akutplan Wohnen“ mit einer massiven staatlichen Förderung des sozialen Wohnungsbaus volkswirtschaftlich dringend erforderlich.Zwei Sonderbauprogramme gefordertTeil des Akutplans müssten auch zwei Sonderbauprogramme sein, fordert das Pestel-Institut. „Hier geht es um den Umbau von Büros zu Wohnungen und um die Aufstockung von Dächern im großen Stil“, so Herr Günther. Allein durch das Umbauen von Büroflächen, die durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr benötigt würden, könnten bis zu 1,9 Mio. neue Wohnungen entstehen, rechnet das Pestel-Institut vor. Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 90er-Jahre gebaut wurden, biete ein enormes Potential: Rund 1,5 Mio. neue Wohnungen seien allein hier durch On-Top-Etagen möglich. „Beides, der Büroumbau und die Dachaufstockung benötigt deutlich weniger Baumaterial und ist schon deshalb wesentlich günstiger als jeder Neubau“, so Herr Günther.Der Institutsleiter macht darüber hinaus deutlich, wie dringend notwendig neue Sozialwohnungen für den Wohnungsmarkt sind: Deutschland erlebt nach Angaben des Pestel-Instituts eine Zuwanderung, die selbst das bisherige Rekord-Flüchtlingsjahr 2015 deutlich übertrifft. So kamen bis zum Mai in diesem Jahr bereits 927.300 Menschen mehr in die Bundesrepublik als in den ersten fünf Monaten ausgewandert sind (Nettozuwanderung). Zum Vergleich: Im gesamten letzten Jahr lag die Nettozuwanderung bei 316.500 Menschen (2020: 208.600). Pestel-Institutsleiter Günther ist sich sicher: „Deutschland wird auch weiterhin eine hohe Zuwanderung haben und brauchen. Nur so kann es gelingen, dem Schwund bei den Beschäftigtenzahlen wenigstens teilweise entgegenzuwirken. Wer kommt, wird aber auch günstigen Wohnraum benötigen – vor allem Sozialwohnungen. Und viele von den Flüchtlingen des Ukraine-Krieges werden auch bleiben.“ „Wohn-Diskriminierung“Das Bündnis „Soziales Wohnen“ fordert zudem, einer „Wohn-Diskriminierung“, die bislang kaum Beachtung findet, entgegenzutreten. So sollen künftig 10% aller neuen, vor allem auch barrierefrei gebauten Sozialmietwohnungen betroffenen Gruppen zur Verfügung gestellt werden, die es besonders schwer haben, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Dazu gehören nach Angaben des Bündnisses u.a. Menschen mit Behinderung, mit psychischen Erkrankungen, Haushalte, in denen ein Demenzkranker lebt, und benachteiligte Jugendliche. Ebenso Senioren, die von der Altenhilfe betreut werden, Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, Wohnungslose, Bewohnerinnen von Frauenhäusern, Geflüchtete und Menschen mit einer Suchterkrankung.In diesem Zusammenhang spricht sich das Bündnis „Soziales Wohnen“ dafür aus, bundesweit in allen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ zu etablieren. Diese sollen von den Stadt- und Gemeinderäten eingerichtet werden und betroffene Gruppen als Kommissionsmitglieder beteiligen. Die Härtefallkommissionen würden dann, so das Bündnis, über das 10-Prozent-Kontingent der Sozialwohnungen, die zu vergeben sind, entscheiden. Damit werde vor Ort die Bedürftigkeit im Einzelfall geprüft und die Berücksichtigung sozialer Kriterien bei Wohnungsvergaben garantiert. Baulinks-Beiträge vom 6. September 2022 |
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