Bauletter, BAULINKS.de-Meldungen, vom 17.07.2023

Editorial: Ene, mene, miste

Es rappelt an der Kiste. Ene, mene, muh und raus bist Du. Tja, so geht das manchmal im Architekturbüro bei der Fassadenfrage. Putz? Glas? Metall? Holz? Stein? Faserzement? Schiefer? Und dann wäre da noch die Farbfrage – von wegen Blau, Rot, Gelb, Grün, Schwarz und Weiß. Nix da – unter einer Farbpalette von 200 Tönen geht bei den Herstellern schon mal gar nix, und weil das nicht reicht, wird changiert, überlagert, gemischt, überblendet. Und weil das alles auch nicht mehr genügt, gibt es heute Faserzement in Holzoptik, Steinplatten in Betonoptik, Glasscheiben in Steinoptik, Holzschalung in Keramikoptik und Kunststoffpaneele in jedweder Optik. Selbst im Barockzeitalter wurde schon kunstvoll marmoriert, was schnöder Putz war. Ja, das Auge will einfach überfrachtet und betrogen werden. Will es das?

Die Fassade ist zum Beliebigkeitsspielplatz der Bauindustrie geworden – Patina scheint verpönt, verlogene Materialität geht vor Purismus. Oberflächen müssen gelackt und geleckt sein, es lebe die Originalität der Täuschung. „Wir geben 15 Jahre Garantie auf Farbechtheit der Holzoptik bei unseren Verbundwerkstoffen!“ Das Falsche bleibt länger schön als das Echte. Warum muss eine Holzoberfläche täuschend echt sein, warum darf sie nicht mehr nur echt sein? Weil man sie streichen, lasieren oder ölen muss!? Warum dürfen Fassadenmaterialien in der Vermarktung keine Patina annehmen, wenngleich sie es tun, spätestens ab dem 16. Jahr, also nach Ablauf der Farbechtheitsgarantie? Und dann kommt das große Verblassen, Verspröden, Verschimmeln! Ha! Runter mit dem Zeugs, ist ja nicht zum Ansehen. Nachhaltig geht anders. Dann lieber eine Kupferfassade, die ungleichmäßig Grünspan ansetzt. Oder eine unbehandelte Holzfassade. Putz, Beton, Alu, Zink. Aber die Geduld, bis sich die Patina einstellt, will man wiederum ja auch nicht aufbringen, deswegen wird „vorpatiniert“.

Warum dürfen Fassaden nicht einfach würdevoll in die Jahre kommen? Wie kam es, dass wir Farbe, Struktur und Haptik so befreit der Verlogenheit preisgeben, uns allein mit der Optik zufrieden geben, ganz egal, was für ein Material sich hinter der Optik verbirgt? Irgendein schlauer Marketingfuchs hat scheinbar damit angefangen, seine Kunststoffprodukte mit Holz-, Beton- oder Schieferoptik aufzuhübschen, versehen mit dem Versprechen, ewiger Jugend … pardon: Echtheit. Und doch weiß ein jeder: Sind Weichmacher und Farbpigmente erst einmal raus, verkommt das Antitz einer so maskierten Fassade wie das perfekte Make-up nach durchtanzter Nacht. Man könne die Oberflächen so wunderbar und einfach reinigen – aber wie soll das gehen, bei einer zehn Meter hohen Fassade? Jedesmal den Gerüstbauer oder den Steiger ordern, wenn sich der Saharastaub mal wieder in unsere Gefilde verirrt hat? Das Graffito hält sowieso überall.

Der Druck macht eben Druck … und mit dem Digitaldruck kam die Optik-Inflation. Es ist ja nicht alles infrage zu stellen, was da so gedruckt, imitiert und manchmal auch richtig gut persifliert wird. Wie aber kam es, dass die täuschend echte Optik oder die perfekte Imitation des Stoffs, aus dem Fassaden sind, der materiellen Echtheit oder der unperfekten Patina mehr und mehr die Show stiehlt? Nur weil es technisch möglich ist? Worin liegt der Reiz, das Unechte schöner zu finden als das Echte? Frag´ mich das mal beim Juwelier! Oder ist es am Ende doch nur das fehlende Geld für die Schieferfassade, die Unlust am Erhalt und der Pflege der Fassadenhaut? Und raus bist Du, Holz. Echt?

Ihre Claudia Siegele
  

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