Bauletter, BAULINKS.de-Meldungen, vom 02.08.2023

Editorial: Warum gerade Bonn?

Paris, London, Rom, Wien, Prag, Athen – mit jedem dieser europäischen Städtenamen geht ein gewisser Flair einher. Und wie nebenbei formen sich im Kopf die Bilder der dazugehörigen Wahrzeichen dieser Hauptstädte, allesamt jeweils mit Regierungssitz: Eiffelturm, Tower Bridge, Kolosseum, Prater, Karlsbrücke, Akropolis. Berlin, mit dem Brandenburger Tor, gehörte nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zu diesem elitären Hauptstadtclub – stattdessen Bonn, mit seinem Poppelsdorfer Schloss und dem Museum König, in dessen Lichthof am 1. September 1948 mit einem Festakt der Parlamentarische Rat eröffnet worden war. Kein Vergleich zu Paris oder Athen, und trotzdem bestätigte am 3. November 1949 der Deutsche Bundestag mit knappem Votum und den Hauch von Frankfurt am Main im Genick spürend, Bonn zur vorläufigen Bundeshauptstadt zu machen. Was so blieb bis zum 20. Juni 1991, an dem der Bundestag erneut mit einer Mehrheit von nur 337 zu 320 Stimmen den Umzug an die Spree beschloss. Und so Deutschland mit Berlin wieder eine Hauptstadt „von Welt“ mit klingendem Namen bekam. Aber wie kam es dazu, dass ausgerechnet das rheinländische Bonn und nicht Frankfurt, Köln oder eben Berlin nach dem Krieg zur Hauptstadt der jungen Bundesrepublik erkoren wurde?

Ihren Anfang nahm diese Geschichte vor 75 Jahren, am 13. August 1948: In einer telefonischen Abstimmung sprachen sich die Regierungschefs der damals elf Länder der drei westdeutschen Besatzungszonen mehrheitlich dafür aus, dass der Parlamentarische Rat in Bonn tagen wird. Parlamentarischer Rat nannte sich die verfassunggebende Versammlung, die vom 1. September 1948 bis 8. Mai 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausgearbeitet hat, das am 23. Mai 1949 unterzeichnet und verkündet wurde. Die Universitätsstadt am Rhein beherbergte nicht nur die 65 stimmberechtigten Männer und Frauen des Parlamentarischen Rates („Väter und Mütter des Grundgesetzes“), sondern im Anschluss auch 50 Jahre lang Regierung und Parlament der Bundesrepublik. Gut drei Jahre nach Kriegsende, am 1. Juli 1948, hatten die Militärgouverneure der westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich die neun Ministerpräsidenten und zwei Bürgermeister der Hansestädte Hamburg und Bremen nach Frankfurt am Main bestellt. Im amerikanischen Hauptquartier ging es um die staatliche Zukunft des Gebiets der drei westdeutschen Besatzungszonen. Zur amerikanischen Zone zählten die Länder Bayern, Hessen, Württemberg-Baden sowie die Hansestadt Bremen. Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bildeten die britische Besatzungszone, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und Baden die französische Besatzungszone.

Die Regierungschefs erhielten von den Militärgouverneuren die sogenannten „Frankfurter Dokumente“ mit den Aufträgen, eine Verfassung auszuarbeiten, eine Länderneugliederung vorzuschlagen und ein Besatzungsstatut zu berücksichtigen, das gleichzeitig mit der künftigen Verfassung in Kraft treten sollte. Um sich zu beraten, trafen sich die Ministepräsidenten vom 8. bis 10. Juli 1948 im Berghotel „Rittersturz“ in Koblenz in der französischen Zone zur sogenannten „Rittersturzkonferenz“. Zur Einigung mit den alliierten Militärgouverneuren Lucius D. Clay (USA), Sir Brian Robertson (Großbritannien) und Pierre Koenig (Frankreich) kam es indes erst am 26. Juli. Die von den Militärgouverneuren geforderte verfassunggebende Versammlung erhielt die Bezeichnung „Parlamentarischer Rat“. Fast beiläufig kam dann die Frage auf, wo denn der Parlamentarische Rat tagen sollte. In Frankfurt, das in der amerikanischen Zone lag, weil die Alliierten dort die „Frankfurter Dokumente“ übergeben hatten? In Koblenz, in der französischen Zone, wo die „Rittersturzkonferenz“ stattfand? Oder in der alten badischen Residenzstadt Karlsruhe, das der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Dr. Reinhold Maier (FDP/DVP), ins Gespräch gebracht hatte und das wie Frankfurt in der amerikanischen Zone lag? Maier konnte sich damals nicht durchsetzen, aber immerhin kam Karlsruhe zum Zug, als es darum ging, einen Standort für das Bundesverfassungsgericht zu finden. Die Amerikaner hätten einer Stadt im Rhein-Main-Gebiet den Vorzug gegeben, beugten sich aber schließlich dem Wunsch der Briten, auch einmal eine Stadt in ihrer Zone mit einer so wichtigen Konferenz zu betrauen. Neben dem niedersächsischen Celle, der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf und Köln stand Bonn zur Auswahl. Warum gerade Bonn?

Dr. Hermann Wandersleb (1895-1977), damals Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und gebürtiger Thüringer, hatte 1947 in Bonn eine Lehrveranstaltung für Verwaltungsbeamte abgehalten und sich erinnert, dort sehr gastfreundlich aufgenommen worden zu sein. In einer Kabinettssitzung am 5. Juli in Düsseldorf brachte er die Universitätsstadt erstmals ins Gespräch. Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) kam es darauf an, eine vergleichsweise wenig zerstörte Stadt zu finden, die zugleich genügend Tagungs- und Übernachtungsmöglichkeiten bot. Köln war im Krieg stark zerstört worden und lehnte ab, auch Düsseldorf reagierte zögerlich auf die Anfrage. Nicht dagegen Bonn, das reges Interesse zeigte und bekundete, alles zu tun, um die Abgeordneten unterzubringen. Bonn lag im äußersten Süden der britischen Zone, unweit der Grenze zur französischen Zone. Während der Verfassungskonvent in Herrenchiemsee über Richtlinien für ein Grundgesetz nachdachte, ließ Christian Stock (SPD), hessischer Ministerpräsident und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, am Freitag, 13. August, über den Tagungsort des Parlamentarischen Rates abstimmen – telefonisch. Zur Auswahl standen Frankfurt, Karlsruhe, Koblenz, Celle und Bonn. Von den elf Regierungschefs stimmten acht für Bonn, zwei für Karlsruhe und einer für Celle.

Nach einer Eröffnungsfeier am Mittwoch, 1. September, im Zoologischen Museum Koenig in Bonn, konstituierte sich der Parlamentarische Rat am gleichen Tag in der Aula der Pädagogischen Akademie und wählte den 72-jährigen Abgeordneten Konrad Adenauer (CDU) zu seinem Vorsitzenden. Adenauer wohnte seit 1935 in Rhöndorf in der südlichen Bonner Nachbarschaft. Bonn schien geeignet, die endgültige Entscheidung über den künftigen Regierungssitz offenzuhalten und den provisorischen Charakter der Gründung eines „Weststaates“ zu symbolisieren. Neben der Pädagogischen Akademie als Tagungsstätte besaß Bonn zudem eine ausreichende Anzahl an Unterkünften, eine intakte Universitätsbibliothek und nahe gelegene attraktive Kurorte. Hier konnte man, wie der CSU-Parlamentarier Karl Sigmund Mayr feststellte, „in Ruhe seine Arbeit verrichten“. Die Pädagogische Akademie, die im August 1948 in kürzester Zeit für den Parlamentarischen Rat hergerichtet wurde, war im modernen Bauhausstil vom preußischen Regierungsbaumeister Martin Witte (1896-1930) entworfen und zwischen 1930 und 1933 ganz im Süden Bonns am Rhein erbaut worden. Sie war der einzige Bau des Dessauer Bauhauses im Bonner Raum.

Nach einem Beschluss des nordrhein-westfälischen Landeskabinetts wurde der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert (1899-1973) bereits Ende 1948 beauftragt, einen Plan für den Umbau der Akademie zu einem dauerhaften Parlamentsgebäude, dem späteren Bundeshaus, anzufertigen. Im Februar 1949 begannen die Bauarbeiten, ohne dass zu diesem Zeitpunkt sicher war, dass Bonn zukünftig Parlamentssitz sein würde. Bonn und das Land Nordrhein-Westfalen hofften auf die Macht des Faktischen. So kann´s auch gehen – oder aber schief gehen, siehe Andreas Scheuer und dessen Mautdebakel. Aber das ist ein anderes Thema.

Ihre Claudia Siegele
  

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